Steiler Süden: Riesling-Kollektiv 2020!

Steiler Süden: Riesling-Kollektiv 2020!

Mitte März 2020. Es gibt nur noch ein Thema. Weltweit: Sars-Cov2. Und es kann sich nur noch um Stunden, maximal Tage handeln, bevor wir in unseren vier Wänden festsitzen werden - sofern wir welche haben - und darauf warten, dass sich das Internet vor lauter Serien-Streaming und Videokonferenzen zusammenfaltet. So einem Virenangriff ist keine Firewall gewachsen. Der Steile Süden ist ein Weinberg, und wenn er nicht geschnitten wird, gibt er keinen Ertrag. Er ist Teil einer Jahrhunderte alten Kulturlandschaft an den extrem steilen Hängen der Terrassenmosel. Kulturlandschaften gehen zu Grunde, wenn der Mensch sie nicht erhält. Und für den Steilen Süden bin ich jetzt seit einem Jahr "sein Mensch". Unseren letzten Versuch, die Reben im Hang zu schneiden, hatten Svenja und ich wegen drohender Unterkühlung abgebrochen. Das war in der Karnevalswoche. Und als wir vorzeitig abzogen, hatten wir höchstens ein Drittel so getrimmt, wie wir es haben wollten.

Svenja, von Kälte und Wind gebeutelt, aber noch sehr vergnügt beim Rebschnitt im Steilen Süden, mitten in der Karnevalswoche. Aus dem Tal bumst der Kirmestechno hoch, und man weiß nicht: Kommt's von den holländischen Frachtschiffen auf der Mosel oder aus den Kaschemmen in den Dörfern Bremm und Neef.

Mit der Wärme steigen die Säfte, und die Reben "bluten", wenn sie geschnitten werden ...

Jetzt ist es zum Glück wärmer. Aber damit steigt der Zeitdruck - nicht nur wegen der bevorstehenden Bewegungseinschränkung, sondern auch wegen der steigenden Vegetationsaktivität. Mein Freund und Geschäftspartner Stefan fährt mit in den Steilen Süden. Mit dem Auto brauchen wir fast zwei Stunden von Saarbrücken nach Neef. Wir brechen früh auf, sonst lohnt sich das nicht. Und wir haben schweres Gerät dabei, um nach erledigtem Rebschnitt noch den Dornen das Handwerk zu legen. Mechanisch versteht sich. Insbesondere Brombeeren haben die fiese Angewohnheit, sich an der Wurzel der Rebe zu schaffen zu machen und sich entweder neben der Wurzel oder direkt durch die Rebenwurzel mit Nährstoffen und Wasser zu versorgen. So genau weiß ich das nicht. Dreckszeug, teuflisches! Wer da nicht früh handelt, wird von einem exponentiellen Wachstum überrollt. Also im Weinberg gilt bezüglich Brombeere: Zero tolerance! Und das erinnert mich schon wieder an das Virus ... oder heißt es den? Aber das ist im Moment, glaube ich, egal.

Stefan und Martin Mitte März 2020 im Steilen Süden nach erfolgreichem Rebschnitt; es fehlt nur noch die unterste Terrasse. Bald geht die Sonne unter, und kurz danach die Welt - "as we knew it" (Michael Stipe)

Kulturrevolution: Steiler Süden, ein Reben-Umerziehungs-Lager

Der Rebschnitt steht am Anfang des Zyklus im Weinberg, die Weinlese an dessen Ende. Der Rebschnitt erfolgt idealerweise kurz vor dem Einsetzen der Vegetationsphase. Kurz bevor die Pflanze aus ihren Wurzeln die Kraft zieht, um auszuschlagen und Blätter auszutreiben, um sich dann mittels Photosynthese mit Energie versorgen zu können. Die neue gewonnene Energie kann sie teilweise wieder in ihre Wurzeln einlagern - für den Austrieb im nächsten Jahr. Aber damit sie das tun kann, darf man sie bei der Traubenproduktion nicht überfordern. Der Steile Süden ist geschwächt durch die Jahre der Nichtbewirtschaftung, und daher gilt: nicht auf Ertrag schneiden, sondern auf Erhalt. Früher war man auch im Steilen Süden auf Ertrag aus gewesen. Das erkennt man daran, dass, wie so oft in den Steilhängen der Mosel, zwei Fruchtruten geschnitten und die Enden nach unten zusammengebunden wurden. Ein Rebschnitt, dessen Ergebnis aussieht wie ein Herz, ein "Moselherzchen". Hübsch, aber leider zu viele Austriebe und viel zu viel Ertrag. Deswegen heißt es jetzt Kulturrevolution: Wir erziehen die Reben auf eine einzelne Fruchtroute um.

Bis die Moselherzchen weinen

Die Reben "weinen" schon stark bei jedem Schnitt. In den nächsten Tagen sollte möglichst kein Frost kommen. Dafür lässt sich das Holz schon prima biegen, und die "Umerziehung" nimmt Formen an. Wir drücken aufs Tempo. Wenn die Ausgangssperre kommt, muss dieser Arbeitsschritt abgeschlossen sein. Der Kampf gegen die Dornen, das Kalken des leicht sauren Schieferbodens, der Austausch der morschen und gebrochenen Pfähle, all das kann warten oder muss notfalls ausfallen. Wir schneiden und binden und binden und schneiden. Dann machen wir Pause, trinken ein paar alkfreie Biere, teilen uns die Essensreste vom Vortrag und blinzeln in die Sonne Richtung Mosel. Irgendwann ist die zweite Terrasse fertig, und der Rücken - vom Im-Hang-Stehen - auch. Wir packen das schwere Gerät unbenutzt wieder zusammen, machen ein Foto von uns - das Foto mit dem Sonnenstrahl, der sich im Rebenblutstropfen auf der frischen Schnittfläche bricht, habe ich leider versaut. Dann fahren wir zurück in die schaurige Realität der Virus-Sondersendungen auf allen Kanälen.

18. März 14h10: Der Steile Süden ist geschnitten. Für die beiden letzten Stöcke reicht der Bindedraht nicht. Ich muss mit Bast aufbinden und Knoten schlingen. Die unterste Terrasse habe ich alleine geschnitten. In diesen Zeiten fährt man nicht mal mehr mit Freunden zusammen im Auto ... Im Hintergrund links: die Verlängerung der Lage "Neefer Frauenberg", eine der besten im Moseltal; unten der Weinort Neef. Der idyllische Eindruck wächst mit der Distanz des Betrachters zum Objekt.

Riesling-Kollektiv

Ich würde gerne ein Foto posten mit allen, die in irgendeiner Form dazu beigetragen haben, dass der Steile Süden wiederauflebt. Aber diese viralen Zeiten lassen ein Gruppenfoto nicht zu. Irgendwann holen wir das nach - bei der Weinlese vielleicht. Dafür brauchen wir auch noch mehr Leute - sonst kriegen wir die Ernte nie den Berg hochgeschleppt - und sie muss hoch, denn zum unteren Ende des Hangs führt kein Weg. Nach all dem "social distancing", durch das wir nun paradoxerweise unsere Solidarität zum Ausdruck bringen, wird der Steile Süden 2020 hoffentlich der erste Jahrgang unseres Riesling-Kollektivs. Ausdruck der gemeinsamen Anstregung von Hannah, Mika, Undine, Svenja, Rolf, Martin (aus Neef), Stefan, Hermann (Grumbach), mir und denen, die noch zu uns stoßen ...

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