Mosel 2022 - Sonnenscheinjahrgang mit verregnetem Ende

Mosel 2022 - Sonnenscheinjahrgang mit verregnetem Ende

Am 25.September dringen wir mit schwenkenden Leseeimern und gezückten Scheren in den Steilen Süden vor. Es gießt nicht. Es schüttet nicht. Aber es regnet. Tropfen fallen, und wenn keine fallen, ist die Luft trotzdem nass. Und die Reben sowieso. Es hilft nichts, wir müssen die Trauben retten. Drei Brigadistinnen haben in der Woche drauf, was Nostalgisches in Katalonien zu verrichten und stehen nur an diesem Wochenende zur Verfügung. Außerdem soll es die ganze Woche weiterregnen. Die Beerenhäute sind jetzt schon dünn, und das Mostgewicht stagniert seit zwei Wochen bei circa 80 Grad Öchsle. Mit jedem Tag steigt das Risiko, dass die Beeren aufplatzen und die Fäulnis einzieht. Also machen wir das Beste daraus. Die Wanne, in der die Trauben nach Lieser transportiert werden, steht trocken im Transporter. In der Hotte (Kiepe) hat sich in der "Kaffeepause", mit der wir den Einsatz beginnen, schon ein halber Liter Regen gesammelt. Ich drehe die Hotte einmal um, dann schnalle ich sie mir auf den Rücken, um die erste Runde Trauben aufzuladen. Die Leser*innen schütteln die Reben kräftig durch, bevor sie die Trauben abschneiden. Bevor sie die Trauben in die Hotte schütten, gießen sie das Wasser aus, das sich dennoch am Boden der Leseeimer sammelt. Mit Sorgfalt und Ruhe sind wir zuversichtlich, trotz der für diesen Tag angekündigten vier Liter Regen die 80 Grad Öchsle in den Grumbach’schen Keller zu retten.

Blick in die Traubenwanne. Platz wäre noch massig. Und wie siehts im Inneren der Trauben aus? Mein Winzer-Onkel Hans-Klaus lachte immer über den Nachbar, der mit den von ihm mit dem Refraktometer im Wingert gemessenen Mostgewichten herumprahlte. "Am Ende kommt's drauf an, was du im Keller misst." Denn Richtung Gärtank passiert noch so mancher Öchsle-Schwund.

Sonnenschein und Regen

Unsere internationalen Lesebrigade setzt sich jedes Jahr neu zusammen. Zu den wenigen Routiniers und Routinières gesellen sich immer wieder Novizen und Debütantinnen. Dieses Jahr waren wir zu wölft. Hein, Meret, Thomas, Emilie, Martin, Christine, Moni, Svenja, Undine, Axel, Simon, Hannah. Mit so vielen Händen geht die Lese schnell. Selbst so eine unpraktische Parzelle wie der Steile Süden, bei dem die Ernte komplett noch oben aus dem Steilhang herausgetragen werden muss, war nach vier Stunden in der Wanne – und natürlich: Kaum waren wir fertig, mit Lese und Picknick, kommt die Sonne raus. Dieselbe Sonne, deren Präsenz das Jahr 2022 von Anfang an prägte. Der Anfang war zu perfekt: Der Frühling war warm, der Austrieb früh, es gab keinen Spätfrost. Wegen des geringen Niederschlags war der Pilzdruck gering. Aber dann gab in den Monaten Juli und August überhaupt keinen Niederschlag. Junganlagen ohne künstliche Bewässerung gingen ein, Reben, die vor weniger als zehn Jahren gepflanzt wurden, zeigten deutliche Spuren von Trockenstress: Im August waren ihre Blätter gelb, und sie stellten die Versorgung der Trauben ein. Mission Selbsterhalt. Alte Reben wie die im Steilen Süden haben mit ihren dreißig und mehr Metern in den Schieferboden ragenden Wurzeln keine Probleme dieser Art. Dennoch: Auch hier waren die Beeren klein, und sie enthielten kaum Saft zum Auspressen. Am 11.September hatten die Beeren im Steilen Süden nach dem Sommer mit den meisten Sonnenstunden seit Beginn der Aufzeichnungen schon 81 Grad Öchsle (2021 waren es vier Wochen später gerade mal 76). Dann kam der Regen.

Alchimist*innen an der Kelter

Emilie und Christine schicken die Trauben aus dem Neefer Frauenberg auf die Grumbach'sche Kelter in Lieser.

Ein letzter Blick auf die Wanne, die im Lieferwagen steht. Als ich losfahre nach Lieser sieht die Menge noch recht vielversprechend aus. Aber als Peter Grumbach im Schongang presst, um nicht den bitteren Saft der Kerne oder die Schalenaromen mit in den Most zu bekommen, ist das quantitative Ergebnis doch sehr ernüchternd: 220 Liter im Ruhetank, deutlich weniger als im Jahr zuvor. Wir lassen den Most über Nacht stehen. Die Schwebstoffe sinken zu Boden. Peter pumpt den klaren Most am 26.09.2022 rüber in den Stahltank und lässt 30 Liter so genannten Trub in die Kanalisation laufen. Jetzt sind es noch 190 Liter. Durch Gebindewechsel, Verkosten und Abfüllung geht noch ein bisschen was flöten … So knapp 220 Flaschen könnte der Steile Süden 2022 am Ende bringen. Aus ca. 800 Stöcken ist das ein verdammt mageres Ergebnis. Die paar Flaschen werden wir wohl im Rieslingkollektiv alleine austrinken müssen. Und was dann noch fehlt, besorgen wir uns beim Weingut Grumbach. Am 3. Oktober lasen wir da bei schönstem Sonnenschein circa 500 Liter mit 83 Grad Öchsle.

Noch hat der frisch gepresste Most aus dem Steilen Süden im Neefer Frauenberg 80 Grad Öchsle...
... dann kommt die Temperaturkorrektur der Öchslewerte: Bei 14 Grad Celsius Mosttemperatur müssen wir von den 81 Öchsle noch mal zwei abziehen, was uns auf 79 bringt. Das gibt aufgrund der niedrigen Säurewerte in diesem Jahr einen durchgegorenen Riesling mit knapp 11 Prozent Alkohol. Eigentlich perfekt! Ach, was heißt schon eigentlich! Es ist perfekt!

Wie mit der Menge, so geht es auch mit den Öchsle kontinuierlich bergab. Die Messung am 11.09. mit Refraktometer ergab noch 81 Öchsle. Dann kamen Regen und Kälte, die Trauben nahmen Wasser auf, und in den zwei Wochen bis zur Lese schaffte es die Photosynthese gerade einmal, die 81 Grad Öchsel zu halten – an sonnigen Herbsttagen sind eigentlich bis zu zwei Öchsle Zuwachs drin, durch Assimilate aber auch durch Konzentrationssteigerung in Folge Verdunstung. Nach Trubabzug und Temperaturkorrektur waren wir bei 78 Grad Öchsle. Ich finde das ja ausreichend (sic!). Aufgrund der geringen Säure dürfte das einen trockenen Riesling mit knapp 11 Prozent Alkohol ergeben. Am 11. September waren die Trauben im Steilen Süden zwar vom Mostgewicht reifer als Mitte Oktober ein Jahr zuvor, aber sie hatten keinen Geschmack. Sie waren einfach nur süß. Wir wussten, dass der Regen kommen würde und dass damit das Fäulnis-Risiko stieg. Aber wir hatten keine Wahl. Es musste sich Saft in den Beeren bilden, damit sich das Keltern überhaupt lohnen würde. Und - noch viel wichtiger - es sollten sich neben der Süße auch die typischen Riesling-Aromen ausbilden. Das ist in den beiden Wochen im Wechsel von Regen und bedecktem Himmel auch geschehen. Der erste Schluck Most nach dem Keltern war aromatisch sehr überzeugend.

"Ach komm , das wird ein Supertröpfen….. und mit Geld lässt sich der Spaß eh nicht aufwiegen schließlich geht es um die Idee" (Brigadist Thomas A.)
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