"Erliege der Versuchung!" - Naturwein im Elsass
Nach der Weinverkostung bei Schliff / Schoettel drängt Olivier auf Fortsetzung des Programms. Wir sind ja schließlich wegen der Naturweine hier. Und so machen wir uns auf zu Kumpf und Meyer. Das Motto des Weinguts: "Erliege der Versuchung, sonst wirst du's bereuen!" Angeblich stammt das Zitat von Epikur. Kann sein. Kein Zweifel besteht darüber, wo wir jetzt sind: im Reich der Naturweine. Die Weine heißen standesgemäß "anarchiste", "hédoniste" oder auch "utopiste". Winzerin Sophie Kumpf hat ordentlich zu tun. Eine Gruppe Belgier und zwei hipsterbärtige Craftbier-Brauer laden Kombi und Kleinbus voll. Dann sind wir dran und probieren freudig alles, was das Haus (noch) zu bieten hat. Sophie Kumpf kann sich ein Grinsen nicht verkneifen, wenn sie sagt, dieser Wein sei leider schon ausverkauft und von jenem habe sie nur noch zwei Kisten. Als sie vor knapp zehn Jahren den Schwefel aus dem Keller austrieben, veränderte sich der Geschmack ihrer Weine grundlegend. Das war auch für Sophie Kumpf eine Herausforderung. Sie musste, wie sie sagt, neu schmecken lernen. Ihr ist das gelungen, ihren alten Kunden nicht. Die kehrten ihr den Rücken, und die Umstellung war sicher keine leichte Zeit. Heute läuft es dafür umso besser: Der Umsatz ist zurück; die Kundschaft ist jünger; und vermutlich ist sie auch ausgabefreudiger.
Der Anarchist als Muskateller
Den Riesling von Kumpf und Meyer habe ich schon an anderer Stelle gepriesen. Hervorheben möchte ich deshalb den "anarchiste" - nicht nur wegen seinem Namen. Dufttechnisch ein lupenreiner Muskateller, ein Bouquetwein eben, der einem die Aromen in die Nase ballert wie ein Gang durch die Obst- und Gewürzmärkte von Marrakesch. Sofort entspannen sich die Geschmacksknospen in Erwartung milder Süße. Aber dann knallen einem Säure und Mineralität gegen den Gaumen und hauen einen um wie eine Monsterwelle. Ein Kontrast wie Stirner und Kropotkin. Empfehlung: Am besten selbst der Versuchung erliegen!
Nach der Weinprobe ist vor der Weinprobe
Als wir im verwinkelten Fachwerkhaus von Olivier und Julie ankommen, setzen wir uns in die letzten wärmenden Sonnenstrahlen des Jahres und hauen einer Flasche Pétillant Naturel Fumé den Kopf ab. Ich habe sie vom Winzerhof Stahl in Auernhofen, Franken, mitgebracht. Trüb wie ein Schleusenbecken in der Dämmerung, aber geschmacklich klar und frisch wie ein Bergsee-Champagner. Danach sind wir wieder fit. Weiter geht’s mit einem Lindenlaub, Pinot Auxerrois 2017 (der mit dem schönen Elefantenetikett ganz oben auf der Seite). Zum Tajine, den wir am Abend essen, serviert Olivier einen trockenen Gewürztraminer von Rietsch. Hammer! Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich einmal für einen orangen Wein begeistern würde! Aber vermutlich finden alle NovizInnen einfacher Zugang zu Naturweinen aus Rebsorten, die man leicht wiedererkennen kann wie etwa Gewürztraminer oder Muskateller. Deren üppige Duftnoten bleiben auch ohne Schwefel erhalten und erlauben es einem so, sich anhand der gewohnten Geschmackskategorien zu orientieren.