Theizé, 25. Februar 2021. Morgens um halb neun treffe ich hier Sonja Geoffray vom Weingut Thivin und ihre beiden Kollegen Aurélien und Yohan. Theizé ist ein kleiner Ort in den Pierres Dorées, der Gegend der goldschimmernden Steine nordwestlich von Lyon. Das Zentrum des Orts bildet ein altes Schloss, das Château de Rochebonne. Im 17. Jahrhundert ließen die Adligen, die dort wohnten, direkt neben dem Schloss einen Wingert anlegen, einen "Clos", umgeben von einer zwei Meter hohen Mauer. Sie dient als Wärmespeicher und schützt die Reben vor hungrigen Wildtieren und anderen Traubendieben. Schloss, Häuser des Ortes, die Mauern des Wingerts und der Boden, auf dem der Wein wächst, sind geprägt von den goldenen Steinen: eisenhaltigen Kalksteinbrocken, die aufgrund der Oxidation diese einzigartige Farbe entwickelt und ein besonderes Terroir geschaffen haben. In dieser Monopol-Lage, umgeben von Wald und Wiesen, und mit einem weitschweifenden Blick über das Tal der Saône erzeugt die Familie Geoffray die Grundlage für einen magischen Weißwein: den Clos de Rochebonne.
Rebschnitt
Die 1,2 Hektar des Clos de Rochebonne sind mit Chardonnay-Reben bepflanzt, die aktuelle Anlage ist zwölf Jahre alt. Die Reben wachsen im Drahtrahmen, und jedes Jahr wird ein Bogen mit circa sieben Augen angeschnitten. Im Château Thivin beschäftigt man sich schon lange mit den Prinzipien des sanften Rebschnitts, insbesondere mit dem Anschneiden von Zapfen und dem Stehenlassen von "Respektholz", damit die Austrocknung der frischen Schnittstelle außerhalb des Altholzes stattfindet. So verringert sich das Risiko von Infektionen. Das alte Holz werfen wir in die Gasse, es wird später gemulcht. Der Bewuchs aus Gras und Kräutern zwischen und unter den Reben wird von bretonischen Zwergschafen niedrig gehalten. Vor der Weinlese im Spätsommer führen die Geoffrays einen Grünschnitt durch. Das reduziert die Traubenlast für die Rebe, fördert die Qualität und macht es für die Erntehelfer*innen leichter, nur gesundes und vollreifes Lesegut einzusammeln.
Casse-croute in den Reben
Zum Mittag grillen wir Paprika und Pilze und Steaks. Dazu gibt's Salat und Baguette. Sonja hat auch einen gekühlten Clos de Rochebonne 2019 dabei, und als wir den geleert haben, geht es inspiriert mit einem Cuvée Zaccharie weiter, einem roten Gamay, ebenfalls von Château Thivin. Es ist genau so ein Tag, wie ich ihn mir in meinem Träumen von meinem Sabbatical immer vorgestellt hatte - lange bevor ich überhaupt etwas von dem Clos de Rochebonne, Wein oder Lage, wusste, geschweige denn von den Menschen, mit denen ich jetzt diesen Tag verbringe. Wir reden über pilzresistente Rebsorten, Erziehungsformen und Schnitttechnik, aber auch über die Musik von George Brassens, loben das tolle Essen und das prächtige Leben an diesem einzigartigen Flecken Erde. Ich weiß gar nicht mehr, wie wir danach weiter geschnitten haben ... Auf jeden Fall habe ich vergessen, ein Foto von unserem Picknick zu machen. Das ist wohl ein gutes Zeichen.
Wie entsteht ein großer Wein?
"Ich mag Ostlagen", erklärt mir Claude Geoffray, Sonjas Schwiegervater, als wir am Abend wieder im Weingut sind. "Die Weinberge, die nach Osten ausgerichtet sind, produzieren mehr Frische und ein komplexeres Fruchtaroma als die mit West- oder Südlage." Sobald die geernteten Trauben aus Theizé im Weingut ankommen, werden sie unter eine Co2-Atmosphäre gesetzt. Nach dem Abpressen bleibt der Most zwei Tage gekühlt stehen, wobei sich unerwünschte Schwebstoffe nach unten absetzen. Anschließend wird der so durch Schwerkraft geklärte Most direkt auf Eichenholzfässer im Burgunderformat verteilt. Die Gärung beginnt spontan, und die Hefen werden nicht abgestochen. Sie bleiben im Fass bis zur Abfüllung. Das regelmäßige Aufrühren hält die Hefen frisch, und beim Abfüllen bleibt nur ein geringer Rest an Feinhefe im Fass zurück.
Im Weißweinkeller
Die burgundischen, 225 Liter fassenden, Holzfässer, liegen in einer langen Reihe in einem Keller, an dessen Stirnseite eine Quelle gefasst ist, die Feuchtigkeit und Temperatur des Kellers auf natürliche Weise reguliert. Die Fässer sind bis zu zehn Jahre alt, und Claude macht eines nach dem anderen auf. Deutlich kann ich den unterschiedlichen Einfluss des Holzes schmecken, je nach Alter des Fasses und Häufigkeit der Belegung. Aber auch die unterschiedliche Herkunft der Fässer führt zu erkennbaren Geschmacksnuancen. Gemeinsam ist ihnen eines: Der Wein aus keinem der Fässer schmeckt vordergründig oder aufdringlich nach Eiche - nicht einmal der Wein aus dem neuen Fass vom letzten Jahr. Es kommt darauf an, wie lange das Holz ausgebrannt wurde, aber auch auf die Herkunft des Holzes. Es kommt auf das Klima im Keller an, in dem die Fässer lagern, und auf die Holzaufnahmefähigkeit der Parzelle, aus der die Trauben stammen. Es kommt auf die Erfahrung des Winzers an, auf das Vertrauen in die alten Verfahren und das Vertrauen in die Zeit, die der Wein zum Reifen braucht. Es kommt sicher auch noch auf vieles mehr an, damit ein großartiger Wein wie dieser entstehen kann. Mein Sabbatical neigt sich dem Ende zu, und ich werde nicht mehr alle Geheimnisse erkunden können. Aber heute bin ich glücklich und dankbar für diese Einblicke und einen unvergesslichen 25. Februar!