Trouver le bon Chenin ...

Trouver le bon Chenin ...

Ich hätte mich ins Auto setzen können, um unseren neuen Chenin zu finden. Ich hätte ein bisschen im Stau gestanden, ein bisschen die Nerven verloren, ein bisschen auf dem Dreckssandwich aus der Raststätte rumgekaut. Ich wäre in Vouvray oder sonst wo an der Loire angekommen und hätte den Chenin gefunden, der uns bei crusauvage so schmerzlich fehlt. Aber dafür hätte ich im Internet recherchieren und herumtelefonieren müssen, um dann an der Loire von Termin zu Termin zu hetzen. All das wollte ich nicht. Das hätte sich nicht richtig angefühlt. Ich wollte unseren neuen Chenin so finden, wie ich den alten gefunden hatte, ohne gezieltes Suchen. Ich wollte, dass mir der Chenin zuläuft wie ein Hund. Aber da mir bisher noch kein Hund zugelaufen ist, habe ich mich aufs Rad gesetzt, in der Hoffnung, mir so die Vorsehung gewogen zu stimmen.

Richtung Atlantik quere ich auch die Seine, einen Zipfel des Burgunds und der Champagne. Aber am Anfang geht es durch Lothringen, so nah und doch in so wehmütiger Ferne.

Chenin beim Afghanen in Orléans

Bis an die Loire, die Heimat des Chenin, musste ich in die Pedale treten. Vorher hatte kein Restaurant einen Chenin auf der Karte. In Orléans folgte ich dem Gault-Millau bis zum Menü, das neben dem Eingang des empfohlenen Restaurants hing: Französische Klassiker, neu interpretiert, hätte da als Zusammenfassung drüber oder drunter stehen können. Die hatten ganz sicher einen Chenin! Aber aus dem Imbiss auf der anderen Straßenseite wehte mir der Duft von afghanischen Teigtaschen und Palau in die Nase. Ich konnte nicht widerstehen. Ich setzte mich an einen der Tische vor dem Imbiss und aß die Vorspeise (Lauch-Mantus in Lammhacksoße) und dann aß ich sie gleich noch einmal. Der einzige Weißwein auf der Karte war ein Chenin, und ich sah mich schon erzählen, wie ich beim Afghanen in Orléans hinter dem Großmarkt unseren neuen Chenin entdeckt hatte. Neben mir saßen zwei alte Damen an einem Sechsertisch. Den hatte ihnen der Chef freigehalten. Sie teilten sich ein Essen. Und als es and Zahlen ging, wollte der Chef kein Geld von ihnen nehmen. Mein Geld nahm er, auch für den Chenin, an dem ich nicht einmal richtig genippt hatte.

Immer die Loire im Auge. Und bloß nicht vom richtigen Chenin (sic!) abkommen … Loire enfin, in Orléans: Den ersten Chenin bestelle ich im afghanischen Imbiss. Nicht ganz das, wonach ich gesucht hatte. Wäre aber auch zu schön gewesen fürs Storytelling.

Tours - Hauptstadt des Vouvray und des Chenin!

Weiter fuhr ich nach Tours und ließ mich am Abend im Restaurant "Les Gens Heureux" nieder. Sehr viel Charme hatten der Gastraum, die Chefin und ihr Personal. Und sehr viel Chenin stand auf der Weinkarte. Weil ich alle probieren wollte, brachte man mir extra kleine Gläschen, und immer drei aufs Mal. Bei so viel Entgegenkommen, konnte ich leicht darüber hinwegsehen, dass die Küche realitätsblind war, was die Umsetzung ihrer kreativen Menütexte anging. Ich habe hier den neuen Crémant für crusauvage getrunken und auch einen Weißwein. Beide 100% Chenin. was sonst? Und das Restaurant? Trotz der selbstverliebten Küche eine Empfehlung. Leider war "l'Accalmie" total überbucht. Die Crew saß rauchend vor der Tür und bedauerte es ehrlich, nicht mal einen einzigen Platz für einen hungrigen Radfahrer freimachen zu können. Aber wer weiß. Vielleicht hätte ich den Chenin dort nicht gefunden.

Tour. Im Restaurant "Chez les gens heureux". In der Hand einen Crémant aus 100% Chenin von Nicolas Brunet aus Vouvray. Der wird's!

Hotel mit großem Charme in Bourgueil

Bourgueil. Als ich nach Bourgueil reinfahre, ist das ganze Innenstädtchen für den Autoverkehr gesperrt. In einer Gasse gehts nicht weiter, weil ein Bass und zwei Gitarren Manouche spielen und die Leute auf der Straße swingen. Auch auf dem Platz vor dem Hotel Thouarsais steht eine Bühne. Laurence, die Wirtin, hat mit ihrem Gefährten Pierre-Yves eine Bar vor dem Eingang aufgebaut und serviert einen köstlichen Salat. Mein Zimmer werde erst so um fünf fertig, wegen dem Fest. Ich ziehe mich im Schuppen um und lasse Rad und Rucksack gleich dort stehen. So genügsame Gäste haben sie scheinbar nicht oft. "Qu'est-ce que tu bois?" "T'as un Chenin?" "T'aimes le Chenin?" "J'adore." "Moi aussi." Laurence hat für das Fest keinen vorgesehen, aber sie holt einen aus dem Keller. 2021er Hervé Menard, sein erster Weißwein, bisher hatte er nur Rotweine gemacht.

Cabernet Franc in einem Weinberg von Hervé Menrad. Jungrebe (mit Fraßschutz) und davor eine Altrebe mit starken, für den Cabernet-Franc typischen, Rebschenkeln. Aber das ist eine andere Geschichte ...

Ein Abstecher in die Rotweine

Der Chenin ist frisch, fruchtig, hat Struktur und eine lange Säure. Toller Wein, selbst bei 40 Grad im Schatten. Laurence tippt auf ihrem Telefon rum und drückt es mir in die Hand. Nach einem kurzen Gespräch mit Hervé beschließe ich, meinen Aufenthalt in Bourgueil um einen Tag zu verlängern. Hier gibts es noch was tun. Am Morgen radle die zwei Kilometer zu Hervé. Er ist im Keller, wir quatschen über seine Weine, die Arbeit mit den Pferden, mit denen er seine sechs Hektar pflügt. Vor ein paar Jahren hat er mit einem Pferd, einem weißen Percheron, angefangen. Das Tier riss, anders als der Traktor, beim Pflügen keine Reben aus, und die Arbeit mit dem Pferd machte Hervé so viel Freude, dass er sein Weingut um 8 Hektar verkleinerte und sich noch ein Pferd zulegte. Heute pflügt er nur mit den Pferden den Boden seines 6 ha - Bio-Weinguts. Wir gehen essen, und Hervé zeigt mir jede einzelne Parzelle, die er bearbeitet. Am späten Nachmittag drückt er mir die Schlüssel von seinem Transporter in die Hand und meinte, es sei zu heiß zum Radfahren, ich solle ihm einfach den Wagen wiederbringen, wenn ich mit den anderen Terminen fertig sei. Wir haben ein Angebot für seinen Wein. Viel werden wir nicht bekommen - und dieses Jahr gar nichts mehr. Aber nächste Jahr, da kriegen wir Chenin und Cabernet Franc!

Chenin bis an die Atlantikküste

Angekommen am Atlantik bei Pornic. Auch hier gibts Chenin, auch wenn der Wein, der in der Gegend wächst, ein Muscadet ist, gekeltert aus der Rebsorte "Melon de Bourgogne".

Um sechs Uhr früh fahre ich durch das leere Bourgueil, runter zur Loire und dann 180 Kilometer bis nach Nantes und am nächsten Morgen gleich weiter ans Meer. Im Betongestrüpp der Umfahrungen, Autobahnzubringer und mehrspurigen Verteiler erwischte mich der erste Regen - in diesem ultraheißen und gewitterfreien Sommer. Ich stelle mich unter das Vordach einer Tankstelle und warte. Als der Regen aufhört, stemmte ich mich gegen den Wind, der sich mir wie eine Wand entgegenstellte und die gerade mal achtzig Kilometer bis Pornic zu einer ernsthaften Prüfung macht. Der Verkehr ist übel, und übler ist nur, dass es keine Alternative zur Landstraße gibt. Als der dritte Lastzug mich nicht in seinen Windsog reißt und überrollt, beschließe ich, das Schicksal nicht weiter herauszufordern, steige die Böschung runter und versuche das Rennrad durch den tiefen Sand eines Fußwegs zu fahren. Irgendwann kam ich an. Letzte Kurve. Der Strand. Ich stellte mich mit dem Rad in die Wellen und bat einen alten Monsieur Fotos zu machen, trank ein Bier in der Strandbar und suchte mir ein Hotel. Am Abend ging ich mit Christine und Moni essen: Réunion de la Sarre. Der Chenin war von Tania et Vincent Carême und er war alles andere als schlampig. Der neue Chenin für crusauvage allerdings kommt von Nicolas Brunet aus Vouvray, und es ist nicht nur einer: Wir haben einen sehr und einen etwas weniger trockenen Chenin, einen Chenin-Dessertwein und einen Chenin Crémant! Und sein Crémant war es, der mir in Tours serviert wurde.

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