Punk, Ypsilon und die Reise nach Lieser

Punk, Ypsilon und die Reise nach Lieser

16.10.2021. Die Messe im Wingert "Punk" ist gelesen. Der "Y" steht uns mit seiner parabelmäßig ansteigenden Giro D'Italia-Rampe noch bevor. Also müssen wir uns erst mal stärken: Günter, Henriette, Christina, Lino, Astrid, Alessandra, Christine, Natalie, Aivars, Hannah und ich setzen uns an die Bierbank zu Linsensuppe von Undine, Käse und einem Schluck Devonschiefer Riesling 2019 aus dem Weingut Hermann Grumbach in Lieser. Von der Grumbach-Familie ist heute niemand dabei, aber ohne sie wären wir alle nicht hier. Hannah, die Eigentümerin der Wingerte, und ich lernten uns 2019 kennen und vereinbarten, dass ich den Steilen Süden wieder in Ordnung bringen würde. Wo die Trauben einen Platz zum Keltern, Gären und Reifen finden würden, war völlig unklar. Klar war nur eines: Bei der Mühe in den extrem steilen Lagen musste das ein Weingut sein, dessen Produkte wir uneingeschränkt schätzten.

Blick vom "Punk" das Moseltal aufwärts, Richtung Süden, Richtung Lieser

Neefer Frauenberg zu Gast in Lieser

Svenja hatte im Literarischen Colloquium Berlin einen Mosel-Riesling kennengelernt, der sie völlig begeisterte. Sie schenkte mir ein Glas von diesem Devonschiefer ein, und ich wusste, es war diese Klarheit und Mineralität, die ich suchte und in den meisten Mosel-Rieslingen vermisste. Svenja nahm mich mit nach Lieser, um den Macher dieses Rieslings kennenzulernen: Hermann Grumbach. Ich fiel gleich mit der Tür ins Haus und fragte, ob er sich vorstellen könnte, unseren Neefer Frauenberg auszubauen. Das war zu überstürzt, denn so recht angenehm schien ihm die Vorstellung nicht, einem fremden Wein Platz im eigenen Keller zu machen. Aber eine gewisse Sympathie für uns enthusiastische Dilettanten, die eine Menge Zeit in einen aufgegebenen Steilhang stecken wollten, war deutlich spürbar. Im Verlauf meines Sabbaticals haben wir uns besser kennengelernt. Ich habe viel Zeit in den Lieser Reben verbracht und viel von Hermann gelernt: Rebschnitt, Laubarbeit, selektives Lesen und ein paar Prinzipien für einen vernünftigen Weinbau, der weder Raubbau an der Natur, noch am Menschen ist. Er hat uns den Weg gewiesen, um den Steilen Süden schonend zurück auf den Ertragsweg zu führen. Und als es soweit war, hat er die Tür geöffnet zu seinem Keller. Der "Steile Süden", und der "Punk mit Ypsilon" aus Neef sind nun Gäste in Lieser. Und wären sie das nicht, hätten wir uns hier heute nicht getroffen, um zu lesen! Und würden uns nicht bei Suppe, Brot und Käse für die steilsten Passagen des Ypsilon stärken.

Schon wieder Pause im "Y" mit Cantal, Reblochon und Munster. Und Undines Linsensuppe. Beinahe hätte uns vor lauter Pausen die Nacht eingeholt ...

Elbe, Niederrhein, und der Canal de Bruxelles ...

Der Tag an der Mosel beginnt mit zähem Nebel, der sich erst am Nachmittag auflöst. Als die Sonne durchkommt und der Herbst sich von seiner anschmiegsamen Seite zeigt, kann ich beinahe verstehen, warum manche Menschen behaupten, dass der Herbst ihre Lieblingsjahreszeit ist. Von der Elbe, vom Niederrhein und vom Canal de Bruxelles, von all diesen dank Klimawandel zukünftigen Weinbauregion sind Freundinnen und Freunde zur Lese gekommen. Und auch aus den alten Weinbauregionen Main und Saar sind welche dabei. Mit der Erfahrung aus dem Steilen Süden eine Woche zuvor - nach nur fünf Stunden war alles in der Bütte - schlagen wir ein eher moderates Tempo an und machten ausgiebig Pausen. Als wir in die steilsten Passagen des Y vordringen, ist die Sonne bereits hinter der Horizontlinie der Eifel verschwunden. Der alte Nebel kriecht wieder aus dem Boden hervor und greift nach dem Mark in unseren Knochen. Aber kurz vor schwarz ist dann doch alles in der Bütte, und die knapp 300 Kilo Trauben tuckerten über die Eifel Richtung Lieser.

Hannah und Aivars mit hanseatischer Lesetechnik auf Kurs "gesundes Ausgangsmaterial". Alles musste raus: von Peronospora befallene und eingetrocknete Beeren, Beeren mit Sonnenbrand und vor allem die gemeine und besonders eklige Fäulnis.

Countdown im Keller: 300, 250, 200, ...

Nachdem Peter Grumbach die 300 Kilo Trauben gekeltert hat, liegt ein zusammengeschrumpfter Haufen aus Traubenschalen und Rappen in der Ecke des Keller, so eine Art "Pulp" - in der anderen Ecke stehen dafür nun 250 Liter Most im Edelstahltank. Nach vierundzwanzig Stunden Ruhe pumpen wir den geklärten Most in einen anderen Tank; den am Boden verbleibenden "Trub" lassen wir in die Kanalisation laufen. Da sind es noch 200 Liter. Zwei Tage später fängt der Steile Süden von selbst an zu gären, spontan, mit indigenen Hefen. Sollten Punk und Ypsilon das nicht schaffen, schütten wir einen Eimer gärender Steiler Süden in ihren Tank, und dann wird auch in ihnen die Gärkohlensäure knistern.

Human-Plant Interactive Dynamics: Svenja befüllt mit Schwung die Grumbach'sche Kelter mit Trauben aus dem Steilen Süden. Unter dem wachsamen Auge von Peter Grumbach, dem Master Mind für die Verarbeitung der Früchte aus dem Neefer Frauenberg

From Dusk Till Dawn

Mit 74 Grad Oechsle ist das Mostgewicht nicht eben berauschend. 9,irgendwas % Alkohol ergibt das im Wein, wenn es gut läuft. Damit der einen berauscht, muss dann schon etwas mehr durch die Kehle fließen. Und damit etwas mehr durch die Kehle fließt, darf er nicht zu sauer sein. Also setzen Peter und ich zu Pulver vermahlenen Kalk zum Most. Das zieht den pH-Wert etwas nach oben und hilft dem Wein zu gären, z.B, auch den biologischen Säureabbau, oder die "Malo" in Gang zu setzen, die auf die alkoholische Gärung folgt und bei der unter Freisetzung von Kohlensäure die als scharf wahrgenommene Apfelsäure in die mildere Milchsäure umgewandelt wird. Es ist unsere einzige Intervention. Peter Grumbach vermutet, dass unser Riesling trotzdem ein Nostalgie-Produkte mit Anklängen an die Kaltsommer-Weine der Siebziger Jahren werden könnte. Mit strammer Säure zum Beispiel. Da mag er recht haben. Ich habe nichts dagegen, weder gegen die Säure, noch gegen einen Wein mit Anklängen an die Siebziger. Wir müssen ihm nur den richtigen Siebziger Jahre-Twist geben - vielleicht à la Tarantino.

Bereit zu gären: der Steile Süden im Edelstahltank, noch getarnt als Cappuccino. Weingut Grumbach, Lieser 11. Oktober 2021. Mittlerweile knistert er vergnüglich vor sich hin.

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