Die Loire ist Frankreichs längster Fluss. Sie entspringt südlich von Valence in der Ardèche, fließt Richtung Norden bis Orléans und danach südwestlich bis Nantes. Sie wälzt sich hin und her in ihrem breiten Flussbett und hat keine Eile, ihre Säfte mit denen des salzigen Atlantiks zu vermischen. Von Roanne bis zur Mündung bei Saint Nazaire folgt ein Weinbaugebiet aufs andere. Auf ihrem Weg nach Norden liegen die berühmten Lagen der Sauvignon Blanc-Traube Menetou-Salon, Sancerre und Pouilly-Fumé. Weiter gehts in der Touraine mit Chenin, sowohl als stiller Weißwein als auch als lauter Crémant. Und schließlich kommen bis in Meeresblicklagen die Weinberge des Muscadets aus der weißen Melon-Traube. Lange hatte ich die Loire als Weißweinregion abgespeichert. Bis ich vor etwa zehn Jahren mit meinem Freund Mycle zum Mittagessen im Temps des Cerises in der Butte aux Cailles saß. Die Sonne schien auf das Trottoire mit den gedeckten Tischen, das Essen war, wie immer dort, unambitioniert raffiniert, und der Wein kam von der Loire. Und er war rot - ein Chinon, den sie uns mit 14 Grad aus dem Kühler auf den Tisch stellten. Er hatte zwölfeinhalb Prozent Alkohol, eine bläuliche Farbe und eine Nase, in der die Veilchenaromen dominierten. Es war der Beginn einer Passion: Cabernet Francs aus der Touraine und dem Anjou.
Tuffsteingallerien in Bourgueil
Bourgueil und Saint-Nicholas de Bourgueil liegen im Zentrum der Rotweinproduktion der Loire. Hier ist Rotwein gleichbedeutend mit Cabernet Franc. Nur hier an der Loire wird er sortenrein angebaut, in Appellationen wie Chinon oder Saumur-Champigny oder eben Bourgueil. Anderswo, vor allem im Bordeaux, findet man den Cabernet Franc nur als Cuvée-Partner des Cabernet Sauvignon und des Merlot. Der Cabernet Franc gilt als leichter, weniger tanninhaltig, weniger komplex und weniger lagerfähig als der Cabernet Sauvignon. Aber das sind Alt-Herren-Klischees, wie sie die renommierte "Revue du vin de France", kurz LARVF, auch heute noch reproduziert, um dann allwissend hinzuzufügen, in welchen Orten der Loire "dennoch" herausragende Cabernet Franc entstehen können, die mit den großen Weinen in Bordeaux mithalten können.
Der Aufstieg des Cabernet Franc
Charly Foucault war nicht nur als Bio-Winzer ein Pionier an der Loire, er setzte auch neue Maßstäbe in Sachen Rotweinqualität. In den 90er Jahren bei einer Blindverkostung in New York, USA, verwies sein Cabernet Franc die versammelten Pomerol-Großlagen aus dem Bordeaux auf die Plätze - obwohl sein Wein nur als "vin piège", als "Ausreißerwein" in die Verkostung aufgenommen worden war. Dasselbe wiederholte sich kurz darauf in Paris. Ab da standen reinsortige Cabernet Francs im Scheinwerferlicht der französischen Weinszene - und das Weingut Clos Rougeard wird bis heute von der LARVF als Topadresse gehandelt. Allerdings ist Charly Foucault 2015 gestorben, und das Weingut wurde anschließend an den Großindustriellen und Sarkozy-Freund Martin Bouygues verkauft (Also Vorsicht bei allen Jahrgängen 2015 folgende!).
Das Geheimnis des Herbstes
Wir haben bei crusauvage einen Cabernet Franc von der Domaine Cabernelle im Programm, den Secret d'Automne. Hier in Bourgueil bin ich mit Bertrand, dem Kellermeister des Weinguts verabredet. Für die Schlösser und Kathedralen der Loire wurde der Tuffstein aus unterirdischen Steinbrüchen abgebaut. Die so entstandenen Hohlräume dienen den Weingütern als Lager. La Cabernelle besitzt einen Fußballplatz großen Raum, der unter 9 Metern Gestein liegt und die Temperatur auf stabilen 12 Grad hält. Hier befindet sich das Referenzlager. Bertrand, zieht aus einem haarigen Haufen eine Flasche, die aussieht, wie eine überfahrene Katze. Im Tageslicht kratzen wir den schwarzen Schimmel ab, das Etikett ist dem hungrigen Pilz zum Opfer gefallen. Aber seitlich auf dem Korken steht das Jahr: 1973. War ich da schon geboren? Ich denke schon, aber sicher bin ich mir nicht. Das ist einfach zu lange her. 1973 war kein großer Jahrgang, weder an der Loire, noch sonstwo. Über die grobe Art der Weinzubereitung von damals kann Bertrand nur den Kopf schütteln. Die Umstellung der Produktion auf schonende Verfahren, Spontanvergärung und Bio-Zertifizierung sind sein Werk. Aber der 73er hat aufgrund der kalten 70er Jahre ordentlich Säure und wohl deshalb und wegen der stabilen 12 Graf in der Tuffsteinhöhle die 50 Jahre sehr gut überstanden. Die Nase ist intensiv, und die klassischen Cabernet Franc-Aromen sind auch am Gaumen präsent.
Wir, bei crusauvage, sind schon lange Fans der Weine von der Loire, und insbesondere des Cabernet Franc. Mit seiner Frische ist er der klassische Begleiter eines Mittagessens in einem Pariser Bistrot. Mit seinen moderaten Alkoholgraden ist er eine echte Alternative zu den Schwergewichten aus dem Süden Frankreichs. Der Cabernet Franc ist eine imposante Pflanze mit kräftigem Holzaufbau, was zu baumdicken Rebschenkeln führt. Obwohl er eher in moderaten oder nördlicheren Weinbaugegenden vorkommt - auch an den Finger Lakes im Norden des bundesstaates New York - braucht er ausreichend Sonnenstunden, sonst reift er nicht aus. Und wenn er nicht ausreift, entdecken wir keine feinen Aromen nach Veilchen und Waldbeeren in der Nase, sondern gemüsige Töne wie grüne Paprika. In Deutschland gibt es erste Versuche mit Cabernet Franc, darunter auch angeblich Beeindruckendes wie der Bericht einer Blindverkostung von Drunken Monday verkündet. Für mich konnte ich das bei meinen Verkostungen bisher nicht bestätigen. Mir waren die deutsche Cabernet Francs allesamt zu verholzt. Wir bei crusauvage bleiben erst einmal bei der roten Loire.