Es ist Anfang September, als Svenja und ich uns ins Auto setzen und nach Neef düsen. Zwei Stunden hin, zwei Stunden dort, zwei Stunden zurück. Die Mission: Nachsehen, wie es dem Patienten, dem Wingert “Steiler Süden“, geht, nachdem wir ihn im Juli (fast) kahl geschoren hatten. Wir haben ordentlich Sorge im Gepäck, was die Hitzewellen angerichtet haben könnten. Als wir ankommen, schauen wir uns daher erst lieber mal die Weinberge von Hannah an, die über die Jahre bearbeitet worden waren, den Punk und den Y. Um eine Referenz zu haben.
“Allet schnieke, allet schick” bei Punk und Y
Was haben wir erreicht?
Der Rasur des Steilen Südens im Juli waren einige Gespräche vorausgegangen. Die einen sagten: Die Reben haben sich ausgeblutet und werden nicht überleben. Also spart euch die Arbeit, reißt alles aus und pflanzt neu! Andere meinten, wir sollten massiv runterschneiden, vor allem die Trauben, damit die Reben sich aufs Überleben konzentrieren können. Und dann gab es auch welche, die meinten, dass wir im Herbst 800 Liter ernten könnten. Für uns war klar. Reben retten hatte oberste Priorität. Aber etwas Wein im ersten Jahr wäre auch nicht schlecht. Also haben wir so viel weggeschnitten wie ging – und doch noch was hängen lassen. Die Reben sollten schließlich nicht vergessen, wofür wir sie weiterleben ließen. Dann kam die große Hitze …
Neefer Frauenberg: Steiler Süden: von der grünen Hölle zur braunen Wüste
Die Reben sehen mickrig aus, aber sie leben. Und man kann jetzt gut durch die Reihen laufen bis auf die unteren Terrassen. Auch das ist ein Vorteil. Und schließlich: Trotz Nullkommanull-Chemie-Einsatz sind kaum Krankheiten im Hang – das verdanken wir der Trockenheit. Andererseits haben die Hitzewellen die ohnehin schon wenigen Trauben in Teilen verbrannt. Das ist auch anderen passiert, die die Traubenzone in diesem Jahr zu früh entblättert hatten. Die Ernte im Steilen Süden wird also sehr gering ausfallen, wenn es denn überhaupt eine gibt. Und ob die sich dann als einzelne Lage ausbauen lässt, ist äußerst fraglich. Wir werden sehen. Übernächste Woche schaue ich wieder nach – mit Refraktometer, einem optischen Gerät zur Bestimmung des Mostgewichts. Svenja und ich haben erst mal die kräftig nachgewachsenen Brombeerhecken ausgerissen, so gut es ging . Und dann waren die 2h auch schon wieder vorbei.
Nicht lehrbuchmäßig, aber noch hängt was dran – Vögel, Rehe und Wildschweine liegen zusammen mit uns auf der Lauer. Wer wird als erstes im Hang sein, wenn die Trauben reif sind? To be continued
Der Steile Süden ist eine Parzelle im Neefer Frauenberg. Der sehr steile Wingert besteht aus Schiefer und bietet damit eigentlich beste Voraussetzungen für einen mineralischen Riesling mit typischem “Terroir”. Früher hat der Steile Süden auch tatsächlich einen tollen Wein abgegeben. Jetzt ist er seit drei Jahren verwildert. Dornenhecken wurzeln zwischen den Reben und nehmen ihnen, was sie zum Leben brauchen: Wasser, Nährstoffe, Licht. Die Reben treiben tief im Stamm aus, schieben ihre Ranken über den Boden, verschlingen sich mit den Ranken anderer Reben und erwürgen sich gegenseitig. Sie produzieren entsetzlich viele, meist krüpplige Trauben und noch viel mehr Blätter. Von der Traumlage ist nichts mehr zu sehen.
Ein Zeuge besserer Tage, der letzte Jahrgang des Steilen Süden : 2015. Mit exakter Geo-Location und stilisiertem Steilhang
Wir sind entschlossen, den Steilen Süden zu retten: Wir, das sind Hannah, die Eigentümerin, Svenja, die passionierte Gärtnerin, und Undine, die am Steilhang ihre “Komfortzone verlässt”. Sie arbeiten sich vom Fahrweg nach unten vor und drängen erst einmal die Dornen zurück. Das Gerät, das man dazu braucht, kann ich mit gebrochenem Arm gar nicht bedienen. Ich werde mich um die Reben auf der untersten von drei Terrassen kümmern und rutsche dazu den blanken Schiefer auf dem Nachbargrundstück hinunter. Hier steht außer den Pfählen, an denen einst der Wein hochrankte, gar nichts mehr. Der Nachbar hat in der extremen Steillage, in der alle Arbeit von Hand erledigt werden muss, kapituliert.
Undine, glücklich in der grünen Hölle.
Jetzt fängt es auch noch an zu regnen. Sicher, die Rebe braucht Wasser. Aber Feuchtigkeit schafft ideale Bedingungen für Pilzkrankheiten. Und hier gibt es eh schon zu viel Laub, so dass die Sonne die Feuchtigkeit nicht schnell abtrocknen kann. Außerdem liegen die Reben auf dem Boden. Ein Horror! Ich schneide mich mit der Gartenschere durch den Wildwuchs. Von unten nach oben, das heißt: Ich sehe mir das alte Rebholz an. Alles, was hier seitlich herauswächst, muss weg. Besonders achtgeben muss man auf die Ranken, die ganz unten ansetzen, unterhalb der Pfropfung. Was da herauswächst, sind keine Riesling-Ranken, sondern die Triebe der amerikanische Unterlagsrebe. Da sie resistent gegen die Reblaus ist, wird sie über 100 Jahren europaweit eingesetzt. Aber sie wächst auch wie der Teufel. Zudem ist sie näher an der Wurzel und sitzt damit an der Quelle der Versorgung mit Mineralien und Wasser. Und da wir Riesling haben wollen, muss das alles weg.
Sonntag 15h, der Steile Süden ist geschoren. Mit Svenja und Hannah.
Erst schneide ich ab, dann schneide ich klein, damit das Grünzeug auf dem Schiefer trocknen und verrotten kann, ohne dass der nächste, der hier arbeitet, sich darin verheddert und den Berg hinunterstürzt. Zum Schluss hebe ich die auf dem Boden liegenden Riesling-Ranken, an denen gesund ausgebildete Trauben hängen, auf und wickele sie um den Holzstab, an dem sie hochwachsen sollen. Wir wollen ja im Oktober wenigstens symbolisch ernten! Blöderweise habe ich nichts zum Festbinden dabei, und der Weg zum Auto ist zu weit und zu steil. Ich biege vorsichtig die Ranken um den Holzpflock und spüre, wie sie geschmeidig werden, sich führen lassen und sich anschließend selbst wieder ineinander verhaken. Ob das auf Dauer hält, weiß ich nicht. Aber es macht Spaß und fühlt sich gut an, und ich komme mir vor wie ein Krankengymnast für Pflanzen, ein PPT, ein Physio-Phyto-Therapeut!
Steiler Süden nach Radikalschur: wieder bereit für mineralische Riesling-Produktion
Heute ist der erste Tag meines Sabbaticals. Ich habe mich zwei Jahre beurlauben lassen, um im Weinbau mitzuarbeiten, in verschiedenen Regionen, vor allem in Europa, mit einem Schwerpunkt in Frankreich. Ich werde dabei nicht nur Trauben ausquetschen, sonden auch Winzerinnen und Winzern Frage stellen: Was tut ihr, damit euer Wein am Ende im Glas so phantastisch schmeckt? Wie geht ihr mit Dürren, Überschwemmungen und dem Klimawandel um? Wie könnt ihr von eurer Arbeit leben? Und wie diejenigen, die für euch arbeiten?
Was ist das Geheimnis, um herausragenden Wein herzustellen? Wie anders sieht die tägliche Routine aus, wenn man ganz auf Chemie im Weinberg und im Keller verzichtet? Und wie arbeiten die, die aus dem Weinbau ein soziales Projket gemacht haben – ja auch die gibts!
Ich werde mein neu erworbenes Wissen hier aktuell teilen, mit Texten, Bildern, Interviews. Und ich werde auch Weinpakete zusammenstellen, gemeinsam mit den Betrieben, bei denen ich gerade arbeite. Diese Weinpakete gibt es – hoffentlich bald – exklusiv hier im Shop. Dann könnt ihr mit euren Freunden nicht nur mit-lesen, sondern auch mit-trinken. Mit-reden könnt ihr natürlich auch.
Auf dem Bild oben seht ihr den “steilen Süden”, eine Steilstlage an der Mosel, genauer am Frauenberg in Neef. Der “steile Süden” is so steil, dass man sich am besten abseilt, wenn da drin arbeitet. Mit der Maschine geht da nichts. Der Wingert ist verwildert, die Rieslingreben sind über zwanzig Jahre alt. “Bloß 500 bis 700 Liter” bringt der noch, sagt der Fachmann und will am liebsten neu pflanzen. Ich hingegen bin begeistert. Wenn ich ihn von Dornen befreie und, viel zu spät im Jahr, hochbinde, gehört die Ernte mir, sagt die Eigentümerin. Wenn es klappt, wird es mein erster cru sauvage …
Ich erzähle Yasmina von meinem Wein-Sabbatical – und sie wählt sofort die Nummer von Hannah, die angeblich einen Weinberg südlich von Hamburg besitzt. Südlich von Hamburg? Das kann alles sein, vom Rhein über die Rhone bis nach Stellenbosch. Hannah wohnt in Hamburg, das stimmt, und sie hat Weinberge südlich von Hamburg, nämlich an der Mosel: Rieslinghänge mit tollen Namen: Punk, Y und Steiler Süden. Da wir uns an Yasminas Telefon nichts weiter zu sagen haben, verabreden wir uns gleich vor Ort, in Neef.
NEEF
Von einem Ort namens Neef habe ich noch nie gehört. Als Kind habe ich an der südlichen Mosel bei Verwandten in der Lese geholfen und auf einem uralten Trecker in den steilen Wegen der Weinhänge von Mehring Autofahren gelernt. Ich hatte die Leute geliebt, die Landschaft, den Dialekt-Singsang. Aber mit dem Wein hatte ich auch später nie etwas anfangen können. Wenn schon Riesling, dann mineralisch und knackig und so unweinig, wie es irgendwie ging.
Ich packe den Rucksack mit Ersatzklamotten, Handschuhen, Rebenschere – und Zahnbürste. Man weiß ja nie, wie so ein Abend in der Weinregion ausgeht. Und fahre mit der Bahn die Saar entlang. Stahlruinen im Abbau begriffen, Stahlruinen musealisiert, Stahlruinen wieder in Betrieb genommen. Und so weiter. Erst weit hinter Dillingen sieht man Natur. Sandsteinfelsen, Nebel, der auf dem Fluss steht, und die ersten Weinberge der Saar. Dann das enge Moseltal mit seinen Steilhängen. Und Ausstieg in … äh, Blick auf die Fahrkarte … Neef. Ich bin der einzige, der aussteigt. Der Bahnsteig ist ein halb zugewachsener Sandweg. Eine Frau steht auf der einzigen Straße ins Dorf. Hannah? Ja. Martin? Ja. Es gibt noch einen Kaffee in der Pension, in der sie mit ihrer Tochter Mika abgestiegen ist, dann laufen wir los, die Mosel runter.
Spritzhubschrauber als bestäubende Hummel getarnt; im Hintergrund derer Calmont in Bremm, der steilste Weinberg Europas
Noch ein Martin
Wo die Brennnesseln höher wachsen als die Austriebe der Reben, bleibt Hannah stehen und zündet sich eine Zigarette an: „Das ist einer von meinen“. Durch die Brennnesseln schimmert der Schieferboden. Ich folge mit den Augen den Pflanzreihen. Erst geht es zehn Meter flach weiter, dann schlägt mein Blick am Horizont an, denn der Weinberg steigt jetzt an, steil wie eine Parabel. Ein „Steilsthang“, wie der Moselaner sagt: der Frauenberg. Steil, Süden, Schiefer: Riesling. Da muss man keine ampelographischen Kenntnisse mitbringen, ja nicht einmal die Blätter des Rebstocks und der gemeinen Brennnessel auseinanderhalten können, um zu wissen, dass hier nur Riesling stehen kann. „Das ist der Ypsilon, aber darum kümmern wir uns später.“
Wir laufen ein paar Meter auf der Straße weiter und biegen in einen überwachsenen Pfad ein. Plötzlich laufen überall Hühner und Küken rum. Am Ende steht eine Weinberghütte, ein Stachelbeerstrauch, groß und stark wie ein Apfelbaum, und mehrere Pfirsichbäume. Hier lebt ein Hühnerretter, Kanufahrer und Fotograf. Aber er ist Moselaner, also hat er auch was mit Weinbau zu tun. Und wortkarg ist er nur zu Anfang. „Martin, tach.“ – „Ja, ich auch.“ Nach Smalltalk geht’s weiter zu Fuß zu einem Rotweinacker, in dem kreuz und quer Lemberger und Spätburgunder stehen. Warum? Weiß keiner. Ich bin vor allem froh, dass wir nicht mit den Brennnessel-Reihen anfangen und versuche, den Spritzhubschrauber mit der Smartphone-Kamera zu erwischen.
Aufbinden, wegschneiden, in der Sonne schmoren
Der andere Martin kommt mit dem Moped hinter uns her und zeigt uns, was zu tun ist: Stamm sauber machen. „Alle Triebe müssen weg, und zwar so eng am Stamm abschneiden, wie es geht, sonst wächst da gleich wieder was raus.“ Gräser und was noch so dazwischen wächst sollen am besten mit der Wurzel rausgezogen werden. „Jetzt sind die Trauben schon da, und die Pflanze braucht alle Nahrung, die sie kriegen kann, um sie gesund reifen zu lassen.“ Wir binden die Austriebe hoch, klemmen sie zwischen die gespannten Drähte, damit der Trecker durchkommt, um zu mähen oder zu pflügen, ohne sie abzureißen. Und wir binden die zu locker sitzenden Drähte zusammen, damit die vom Hubschrauber ausgelösten Sturmböen die Austriebe nicht wieder aus der Führung wehen.
Mika und Hannah mit Foto- statt mit Sonnenschutz
Die Sonne sticht vom Himmel, es sind nur noch Minuten bis zum Sonnenbrand im Nacken. Martin kommt noch einmal vorbei, um uns was zu trinken zu bringen: Regenwasser – er trinkt nur das – mit Saftkonzentrat und Vitamin-C-Tabletten gegen die Entmineralisierung und fürs sprudelnde Gefühl. Kein großes Gewächs, aber genau das Richtige in diesem Moment.
Plötzlich mittendrin im Wein-Sabbatical
Zum Abschluss zeigt mir Hannah noch den “Steilen Süden”. Ein kleiner Steilsthang auf dem Frauenberg, angeblich eine der zehn besten Lagen an der ganzen Mosel. Disteln sind im Weinberg drin, auch Brombeeren, die Triebe des Rieslings schieben über den Boden, die Holzstangen, an denen sie hochranken sollten, sind morsch. Der Berg ist so steil, dass man sich anseilen möchte. Hannah kann sich inzwischen vorstellen, diesen Hang aufzugeben. Zuviel Arbeit, wenn man so weit weg lebt wie sie. Die Gemeinde will, dass sie „ausstockt“, der Nachbar hat’s vorgemacht. Mich wundert es, dass noch heute die besten Lagen aufgegeben werden. Ich dachte, die Entwicklung hätte sich längst umgekehrt, und man würde auf Lage, Terroir, Handarbeit setzen. Aber nein.
Hannah, Mika und in der Mitte 2x Martin vor “Steilem Süden”
Nun sagt Martin auch noch, die Stöcke sollten ersetzt werden, die brächten nach 20 Jahren keinen Ertrag mehr. Ich sage, das ist mir egal, ich brauche keinen Ertrag. Den Berg mag ich so, wie er ist: ungeschnitten, ungespritzt, verwildert. Der Versuch von Didier Dagueneau kommt mir in den Sinn, der seinen Sauvignon blanc direkt in den Boden pflanzte, ohne amerikanische Unterlagsrebe, um zu sehen, wie sich der Reblausbefall auf den Wein auswirkt. Ich verspreche Hannah, bei der Lese zu helfen. Dafür gibt sie mir den Ertrag vom Steilen Süden. Ich werde ein Fass kaufen müssen, einen Winzer finden, bei dem ich es aufstellen kann. Ich brauche Werkzeug, jetzt sofort. Schlagartig bin ich mittendrin im Wein-Sabbatical.
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