Monat: Oktober 2022

Trouver le bon Chenin …

Ich hätte mich ins Auto setzen können, um unseren neuen Chenin zu finden. Ich hätte ein bisschen im Stau gestanden, ein bisschen die Nerven verloren, ein bisschen auf dem Dreckssandwich aus der Raststätte rumgekaut. Ich wäre in Vouvray oder sonst wo an der Loire angekommen und hätte den Chenin gefunden, der uns bei crusauvage so schmerzlich fehlt. Aber dafür hätte ich im Internet recherchieren und herumtelefonieren müssen, um dann an der Loire von Termin zu Termin zu hetzen. All das wollte ich nicht. Das hätte sich nicht richtig angefühlt. Ich wollte unseren neuen Chenin so finden, wie ich den alten gefunden hatte, ohne gezieltes Suchen. Ich wollte, dass mir der Chenin zuläuft wie ein Hund. Aber da mir bisher noch kein Hund zugelaufen ist, habe ich mich aufs Rad gesetzt, in der Hoffnung, mir so die Vorsehung gewogen zu stimmen.

Richtung Atlantik quere ich auch die Seine, einen Zipfel des Burgunds und der Champagne. Aber am Anfang geht es durch Lothringen, so nah und doch in so wehmütiger Ferne.

Chenin beim Afghanen in Orléans

Bis an die Loire, die Heimat des Chenin, musste ich in die Pedale treten. Vorher hatte kein Restaurant einen Chenin auf der Karte. In Orléans folgte ich dem Gault-Millau bis zum Menü, das neben dem Eingang des empfohlenen Restaurants hing: Französische Klassiker, neu interpretiert, hätte da als Zusammenfassung drüber oder drunter stehen können. Die hatten ganz sicher einen Chenin! Aber aus dem Imbiss auf der anderen Straßenseite wehte mir der Duft von afghanischen Teigtaschen und Palau in die Nase. Ich konnte nicht widerstehen. Ich setzte mich an einen der Tische vor dem Imbiss und aß die Vorspeise (Lauch-Mantus in Lammhacksoße) und dann aß ich sie gleich noch einmal. Der einzige Weißwein auf der Karte war ein Chenin, und ich sah mich schon erzählen, wie ich beim Afghanen in Orléans hinter dem Großmarkt unseren neuen Chenin entdeckt hatte. Neben mir saßen zwei alte Damen an einem Sechsertisch. Den hatte ihnen der Chef freigehalten. Sie teilten sich ein Essen. Und als es and Zahlen ging, wollte der Chef kein Geld von ihnen nehmen. Mein Geld nahm er, auch für den Chenin, an dem ich nicht einmal richtig genippt hatte.

Immer die Loire im Auge. Und bloß nicht vom richtigen Chenin (sic!) abkommen … Loire enfin, in Orléans: Den ersten Chenin bestelle ich im afghanischen Imbiss. Nicht ganz das, wonach ich gesucht hatte. Wäre aber auch zu schön gewesen fürs Storytelling.

Tours – Hauptstadt des Vouvray und des Chenin!

Weiter fuhr ich nach Tours und ließ mich am Abend im Restaurant “Les Gens Heureux” nieder. Sehr viel Charme hatten der Gastraum, die Chefin und ihr Personal. Und sehr viel Chenin stand auf der Weinkarte. Weil ich alle probieren wollte, brachte man mir extra kleine Gläschen, und immer drei aufs Mal. Bei so viel Entgegenkommen, konnte ich leicht darüber hinwegsehen, dass die Küche realitätsblind war, was die Umsetzung ihrer kreativen Menütexte anging. Ich habe hier den neuen Crémant für crusauvage getrunken und auch einen Weißwein. Beide 100% Chenin. was sonst? Und das Restaurant? Trotz der selbstverliebten Küche eine Empfehlung. Leider war “l’Accalmie” total überbucht. Die Crew saß rauchend vor der Tür und bedauerte es ehrlich, nicht mal einen einzigen Platz für einen hungrigen Radfahrer freimachen zu können. Aber wer weiß. Vielleicht hätte ich den Chenin dort nicht gefunden.

Tour. Im Restaurant “Chez les gens heureux”. In der Hand einen Crémant aus 100% Chenin von Nicolas Brunet aus Vouvray. Der wird’s!

Hotel mit großem Charme in Bourgueil

Bourgueil. Als ich nach Bourgueil reinfahre, ist das ganze Innenstädtchen für den Autoverkehr gesperrt. In einer Gasse gehts nicht weiter, weil ein Bass und zwei Gitarren Manouche spielen und die Leute auf der Straße swingen. Auch auf dem Platz vor dem Hotel Thouarsais steht eine Bühne. Laurence, die Wirtin, hat mit ihrem Gefährten Pierre-Yves eine Bar vor dem Eingang aufgebaut und serviert einen köstlichen Salat. Mein Zimmer werde erst so um fünf fertig, wegen dem Fest. Ich ziehe mich im Schuppen um und lasse Rad und Rucksack gleich dort stehen. So genügsame Gäste haben sie scheinbar nicht oft. “Qu’est-ce que tu bois?” “T’as un Chenin?” “T’aimes le Chenin?” “J’adore.” “Moi aussi.” Laurence hat für das Fest keinen vorgesehen, aber sie holt einen aus dem Keller. 2021er Hervé Menard, sein erster Weißwein, bisher hatte er nur Rotweine gemacht.

Cabernet Franc in einem Weinberg von Hervé Menrad. Jungrebe (mit Fraßschutz) und davor eine Altrebe mit starken, für den Cabernet-Franc typischen, Rebschenkeln. Aber das ist eine andere Geschichte …

Ein Abstecher in die Rotweine

Der Chenin ist frisch, fruchtig, hat Struktur und eine lange Säure. Toller Wein, selbst bei 40 Grad im Schatten. Laurence tippt auf ihrem Telefon rum und drückt es mir in die Hand. Nach einem kurzen Gespräch mit Hervé beschließe ich, meinen Aufenthalt in Bourgueil um einen Tag zu verlängern. Hier gibts es noch was tun. Am Morgen radle die zwei Kilometer zu Hervé. Er ist im Keller, wir quatschen über seine Weine, die Arbeit mit den Pferden, mit denen er seine sechs Hektar pflügt. Vor ein paar Jahren hat er mit einem Pferd, einem weißen Percheron, angefangen. Das Tier riss, anders als der Traktor, beim Pflügen keine Reben aus, und die Arbeit mit dem Pferd machte Hervé so viel Freude, dass er sein Weingut um 8 Hektar verkleinerte und sich noch ein Pferd zulegte. Heute pflügt er nur mit den Pferden den Boden seines 6 ha – Bio-Weinguts. Wir gehen essen, und Hervé zeigt mir jede einzelne Parzelle, die er bearbeitet. Am späten Nachmittag drückt er mir die Schlüssel von seinem Transporter in die Hand und meinte, es sei zu heiß zum Radfahren, ich solle ihm einfach den Wagen wiederbringen, wenn ich mit den anderen Terminen fertig sei. Wir haben ein Angebot für seinen Wein. Viel werden wir nicht bekommen – und dieses Jahr gar nichts mehr. Aber nächste Jahr, da kriegen wir Chenin und Cabernet Franc!

Chenin bis an die Atlantikküste

Angekommen am Atlantik bei Pornic. Auch hier gibts Chenin, auch wenn der Wein, der in der Gegend wächst, ein Muscadet ist, gekeltert aus der Rebsorte “Melon de Bourgogne”.

Um sechs Uhr früh fahre ich durch das leere Bourgueil, runter zur Loire und dann 180 Kilometer bis nach Nantes und am nächsten Morgen gleich weiter ans Meer. Im Betongestrüpp der Umfahrungen, Autobahnzubringer und mehrspurigen Verteiler erwischte mich der erste Regen – in diesem ultraheißen und gewitterfreien Sommer. Ich stelle mich unter das Vordach einer Tankstelle und warte. Als der Regen aufhört, stemmte ich mich gegen den Wind, der sich mir wie eine Wand entgegenstellte und die gerade mal achtzig Kilometer bis Pornic zu einer ernsthaften Prüfung macht. Der Verkehr ist übel, und übler ist nur, dass es keine Alternative zur Landstraße gibt. Als der dritte Lastzug mich nicht in seinen Windsog reißt und überrollt, beschließe ich, das Schicksal nicht weiter herauszufordern, steige die Böschung runter und versuche das Rennrad durch den tiefen Sand eines Fußwegs zu fahren. Irgendwann kam ich an. Letzte Kurve. Der Strand. Ich stellte mich mit dem Rad in die Wellen und bat einen alten Monsieur Fotos zu machen, trank ein Bier in der Strandbar und suchte mir ein Hotel. Am Abend ging ich mit Christine und Moni essen: Réunion de la Sarre. Der Chenin war von Tania et Vincent Carême und er war alles andere als schlampig. Der neue Chenin für crusauvage allerdings kommt von Nicolas Brunet aus Vouvray, und es ist nicht nur einer: Wir haben einen sehr und einen etwas weniger trockenen Chenin, einen Chenin-Dessertwein und einen Chenin Crémant! Und sein Crémant war es, der mir in Tours serviert wurde.

Mosel 2022 – Sonnenscheinjahrgang mit verregnetem Ende

Am 25.September dringen wir mit schwenkenden Leseeimern und gezückten Scheren in den Steilen Süden vor. Es gießt nicht. Es schüttet nicht. Aber es regnet. Tropfen fallen, und wenn keine fallen, ist die Luft trotzdem nass. Und die Reben sowieso. Es hilft nichts, wir müssen die Trauben retten. Drei Brigadistinnen haben in der Woche drauf, was Nostalgisches in Katalonien zu verrichten und stehen nur an diesem Wochenende zur Verfügung. Außerdem soll es die ganze Woche weiterregnen. Die Beerenhäute sind jetzt schon dünn, und das Mostgewicht stagniert seit zwei Wochen bei circa 80 Grad Öchsle. Mit jedem Tag steigt das Risiko, dass die Beeren aufplatzen und die Fäulnis einzieht. Also machen wir das Beste daraus. Die Wanne, in der die Trauben nach Lieser transportiert werden, steht trocken im Transporter. In der Hotte (Kiepe) hat sich in der “Kaffeepause”, mit der wir den Einsatz beginnen, schon ein halber Liter Regen gesammelt. Ich drehe die Hotte einmal um, dann schnalle ich sie mir auf den Rücken, um die erste Runde Trauben aufzuladen. Die Leser*innen schütteln die Reben kräftig durch, bevor sie die Trauben abschneiden. Bevor sie die Trauben in die Hotte schütten, gießen sie das Wasser aus, das sich dennoch am Boden der Leseeimer sammelt. Mit Sorgfalt und Ruhe sind wir zuversichtlich, trotz der für diesen Tag angekündigten vier Liter Regen die 80 Grad Öchsle in den Grumbach’schen Keller zu retten.

Blick in die Traubenwanne. Platz wäre noch massig. Und wie siehts im Inneren der Trauben aus? Mein Winzer-Onkel Hans-Klaus lachte immer über den Nachbar, der mit den von ihm mit dem Refraktometer im Wingert gemessenen Mostgewichten herumprahlte. “Am Ende kommt’s drauf an, was du im Keller misst.” Denn Richtung Gärtank passiert noch so mancher Öchsle-Schwund.

Sonnenschein und Regen

Unsere internationalen Lesebrigade setzt sich jedes Jahr neu zusammen. Zu den wenigen Routiniers und Routinières gesellen sich immer wieder Novizen und Debütantinnen. Dieses Jahr waren wir zu wölft. Hein, Meret, Thomas, Emilie, Martin, Christine, Moni, Svenja, Undine, Axel, Simon, Hannah. Mit so vielen Händen geht die Lese schnell. Selbst so eine unpraktische Parzelle wie der Steile Süden, bei dem die Ernte komplett noch oben aus dem Steilhang herausgetragen werden muss, war nach vier Stunden in der Wanne – und natürlich: Kaum waren wir fertig, mit Lese und Picknick, kommt die Sonne raus. Dieselbe Sonne, deren Präsenz das Jahr 2022 von Anfang an prägte. Der Anfang war zu perfekt: Der Frühling war warm, der Austrieb früh, es gab keinen Spätfrost. Wegen des geringen Niederschlags war der Pilzdruck gering. Aber dann gab in den Monaten Juli und August überhaupt keinen Niederschlag. Junganlagen ohne künstliche Bewässerung gingen ein, Reben, die vor weniger als zehn Jahren gepflanzt wurden, zeigten deutliche Spuren von Trockenstress: Im August waren ihre Blätter gelb, und sie stellten die Versorgung der Trauben ein. Mission Selbsterhalt. Alte Reben wie die im Steilen Süden haben mit ihren dreißig und mehr Metern in den Schieferboden ragenden Wurzeln keine Probleme dieser Art. Dennoch: Auch hier waren die Beeren klein, und sie enthielten kaum Saft zum Auspressen. Am 11.September hatten die Beeren im Steilen Süden nach dem Sommer mit den meisten Sonnenstunden seit Beginn der Aufzeichnungen schon 81 Grad Öchsle (2021 waren es vier Wochen später gerade mal 76). Dann kam der Regen.

Alchimist*innen an der Kelter

Emilie und Christine schicken die Trauben aus dem Neefer Frauenberg auf die Grumbach’sche Kelter in Lieser.

Ein letzter Blick auf die Wanne, die im Lieferwagen steht. Als ich losfahre nach Lieser sieht die Menge noch recht vielversprechend aus. Aber als Peter Grumbach im Schongang presst, um nicht den bitteren Saft der Kerne oder die Schalenaromen mit in den Most zu bekommen, ist das quantitative Ergebnis doch sehr ernüchternd: 220 Liter im Ruhetank, deutlich weniger als im Jahr zuvor. Wir lassen den Most über Nacht stehen. Die Schwebstoffe sinken zu Boden. Peter pumpt den klaren Most am 26.09.2022 rüber in den Stahltank und lässt 30 Liter so genannten Trub in die Kanalisation laufen. Jetzt sind es noch 190 Liter. Durch Gebindewechsel, Verkosten und Abfüllung geht noch ein bisschen was flöten … So knapp 220 Flaschen könnte der Steile Süden 2022 am Ende bringen. Aus ca. 800 Stöcken ist das ein verdammt mageres Ergebnis. Die paar Flaschen werden wir wohl im Rieslingkollektiv alleine austrinken müssen. Und was dann noch fehlt, besorgen wir uns beim Weingut Grumbach. Am 3. Oktober lasen wir da bei schönstem Sonnenschein circa 500 Liter mit 83 Grad Öchsle.

Noch hat der frisch gepresste Most aus dem Steilen Süden im Neefer Frauenberg 80 Grad Öchsle…
… dann kommt die Temperaturkorrektur der Öchslewerte: Bei 14 Grad Celsius Mosttemperatur müssen wir von den 81 Öchsle noch mal zwei abziehen, was uns auf 79 bringt. Das gibt aufgrund der niedrigen Säurewerte in diesem Jahr einen durchgegorenen Riesling mit knapp 11 Prozent Alkohol. Eigentlich perfekt! Ach, was heißt schon eigentlich! Es ist perfekt!

Wie mit der Menge, so geht es auch mit den Öchsle kontinuierlich bergab. Die Messung am 11.09. mit Refraktometer ergab noch 81 Öchsle. Dann kamen Regen und Kälte, die Trauben nahmen Wasser auf, und in den zwei Wochen bis zur Lese schaffte es die Photosynthese gerade einmal, die 81 Grad Öchsel zu halten – an sonnigen Herbsttagen sind eigentlich bis zu zwei Öchsle Zuwachs drin, durch Assimilate aber auch durch Konzentrationssteigerung in Folge Verdunstung. Nach Trubabzug und Temperaturkorrektur waren wir bei 78 Grad Öchsle. Ich finde das ja ausreichend (sic!). Aufgrund der geringen Säure dürfte das einen trockenen Riesling mit knapp 11 Prozent Alkohol ergeben. Am 11. September waren die Trauben im Steilen Süden zwar vom Mostgewicht reifer als Mitte Oktober ein Jahr zuvor, aber sie hatten keinen Geschmack. Sie waren einfach nur süß. Wir wussten, dass der Regen kommen würde und dass damit das Fäulnis-Risiko stieg. Aber wir hatten keine Wahl. Es musste sich Saft in den Beeren bilden, damit sich das Keltern überhaupt lohnen würde. Und – noch viel wichtiger – es sollten sich neben der Süße auch die typischen Riesling-Aromen ausbilden. Das ist in den beiden Wochen im Wechsel von Regen und bedecktem Himmel auch geschehen. Der erste Schluck Most nach dem Keltern war aromatisch sehr überzeugend.

“Ach komm , das wird ein Supertröpfen….. und mit Geld lässt sich der Spaß eh nicht aufwiegen schließlich geht es um die Idee” (Brigadist Thomas A.)